Guestphalia-Berlin

Josef Wirmer ist einer der Ehrenphilister des KStV Guestphalia-Berlin und war unser Senior im WS 1923/24. Die folgende Seite ist eine Abschrift eines Beitrages von Kb Wolfgang Löhr aus den AM vom November 1984.


Vor 40 Jahren, am 8. September 1944, zwei Stunden nach der Urteilsverkündung durch den Vorsitzenden des Volksgerichtshofs, Roland Freisler, durchschritt unser Kartellbruder Josef Wirmer die kleine Tür zum Hinrichtungsraum in Berlin Plötzensee, um gehenkt zu werden. Seine Leiche wurde nach den Usancen der Blutjustiz noch am gleichen Tage eingeäschert. Der 43jährige Rechtsanwalt galt als einer der führenden Köpfe der Widerstandsbewegung gegen das NS-Regime.

Joseph Wirmer steht vor Hitlers sogenanntem »Volksgerichtshof« Der soeben bei Econ-Düsseldorf erschienene Sammelband »20. Juli, Portraits des Widerstandes«, den Rudolf Lill und Heinrich Oberreuter herausgegeben haben, enthält u.a. ein vielbeachtetes Lebensbild unseres Kartellbruders Josef Wirmer, verfaßt von Rudolf Lill.
Eine solche Darstellung war schon seit langem überfällig. Lill macht deutlich, daß gerade angesichts neuer Diskussionen, in denen den Männern des 20. Juli vorgehalten wurde, daß sie nicht hinreichend an den Maßstäben unserer Demokratie ausgerichtet gewesen wären... Josef Wirmer und seine engeren Freunde wie Bernhard Letterhaus (übrigens EM d. Lgm) aus Religiosität und Rechtsbewußtsein, aus Patriotismus und Sinn für Maß und Vernunft in der Politik der Diktatur entgegengetreten sind und für die Wiedererrichtung des demokratischen Rechtsstaates alle ihre Kräfte und selbst ihr Leben eingesetzt haben.
Sie gehören in die Schar der christlichen Demokraten, die gegenüber der Verachtung des Rechts, der Vergottung von Staat und Partei im Nazireich die christlich-abendländischen Werte verteidigten wie es im Katalog zu einer von der Konrad Adenauer-Stiftung zusammengestellten Ausstellung heißt, die augenblicklich durch die Republik reist und in der auch eine Reihe von KVern genannt werden.

Josef Wirmer wurde am 19. März 1901 in Paderborn geboren, doch verbrachte er seine Jugend überwiegend in Warburg, wo sein Vater ab 1909 Gymnasialdirektor war. Hier machte Josef, zweiter von fünf Geschwistern, 1920 mit Auszeichnung sein Abitur.
Ein gewisser Gegensatz zu seinem konservativen Vater ergab sich nach Lills Meinung aus seiner aktiven Mitarbeit beim Aufbau der Wandervogelbewegung am Warburger Gymnasium. Seine konsequente Absetzung vom konservativen Habitus der Generation seines Vaters, die ihn schon als Student zum überzeugten Demokraten werden ließ, brachte ihm den Zunamen »roter Wirmer« ein.

Wirmer studierte zunächst in Freiburg i.B. und dann in Berlin, wo er 1924 das Refendar- und 1927 das Assessorexamen ablegte, um sich dort 1928 als Rechtsanwalt niederzulassen. In Freiburg wurde er Mitglied des »Flamberg« und in Berlin gehörte er nach Lill zu den Wiederbegründern der »Semnonia«, welche ... die traditionellen Reglements ablehnte und sich eher als katholische Freundeskreis zur Förderung geistiger und politischer Interessen seiner Mitglieder verstand. Es sei dahingestellt, ob Lill, der den KV Kb Josef Wirmer (Pfeil) im Kreise seiner Bundesbrüder des KStV Guestphalia-Berlin 1924 persönlich wohl nicht kennt und, ohne ihm dies anzulasten, die Wirmer betreffenden Unterlagen im KV-Archiv nicht benutzt hat, hier die Wirklichkeit voll trifft. Nach dem KV-Jahrbuch von 1931 war Wirmer A-Philister bei »Flamberg«, B-Philister bei »Brisgovia«, »Guestphalia« und »Langemarck«, sowie Ehrenphilister bei »Semnonia«. Außerdem: Daß der CV liberaler als unser Verband gewesen sein soll, ist sicherlich mit einem Fragezeichen zu versehen. Wirmer war auch nie Syndikus des KV, sondern Leiter der Berufsberatungsstelle.

Als Anwalt in Berlin schloß er sich dem betont linken Flügel des Zentrums an und verfocht entschieden die preußische Koalition zwischen SPD und Zentrum. Von der weitverbreiteten Bereitschaft, mit Hitler nach dessen Wahlsieg vom 5. März 1933 Kompromisse zu schließen, hat er sich nicht mitreißen lassen. Er soll auch bei Kardinal Pacelli gegen den Abschluß des Reichskonkordats interveniert haben. Als engagierter Gegner der Nationalsozialisten kam er 1936 in Kontakt zu dem Widerstandskreis um den Gewerkschafter Jakob Kaiser, der an dem Programm für den Wiederaufbau eines demokratischen Gewerkschaftswesens mit dem Ziel der Errichtung einer Einheitsgewerkschaft beteiligte. Drei Hauptmotive trieben Wirmer zum aktiven Widerstand: die Empörung über die Pervertierung von Recht und Justiz, besonders erkennbar an den Verbrechen, gegen die jüdischen Mitbürger, der Wille zur Wiederherhellung des Rechts und der Bestrafung der Schuldigen (für die er dann die detaillierten Pläne entworfen hat); die Sorge um die durch Hitlers Maßlosigkeit gefährdete Zukunft Deutschlands.

Ab Ende 1941 begann die Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Leipziger Oberbürgermeister Carl-Friedrich Goerdeler, dem politischen Führer des deutschen Widerstandes, der Wirmer zum Justizminister machen wollte. Im Kaiser-Kreis befürwortete Wirmer als einziger im Frühjahr 1944 den Attentatsplan Stauffenbergs. Er wirkte ausgleichend zwischen dem gesellschaftspolitischen Reformismus der Gewerkschaftler und der konservativen Grundhaltung Goerdelers und seiner Freunde.
Zeitweilig vermittelte er auch zwischen Goerdeler und Stauffenberg. Besonders befaßte er sich mit der Reform der Justiz, der er verschiedene Denkschriften widmete.

Nach dem mißglückten Attentat auf Hitler dachte er nicht an Flucht, um seine Familie vor der Sippenhaft zu bewahren.
Am 4. August 1944 wurde er verhaftet und am 8. September 1944 hingerichtet, nachdem er in einem Schauprozeß verurteilt worden war.
Sätze wie Wenn ich hänge, Herr Präsident, habe nicht ich die Angst, sondern Sie, oder seine Antwort auf die Bemerkung Freislers Bald werden Sie in der Hölle sein, Es wird mir ein Vergnügen sein, wenn Sie bald nachkommen Herr Präsident, zeugen von dem ungeheuren Mut und der Geistesgegenwart Wirmers, der zu den großen Gestalten unseres Verbandes zählt und ein überzeugter KVer war, was ihm sogar von Freisler vorgehalten worden ist.


Der folgende Text ist der ersten großen Sammlung von Porträts der Widerstandskämpfer entnommen, die 1954 unter dem Titel »Das Gewissen steht auf - Lebensbilder aus dem deutschen Widerstand von 1933 bis 1945« im Mosaik-Verlag erschien. Diese "Lebensbilder" waren von Annedore Leber gesammelt worden. Das Buch wurde von ihr in Zusammenarbeit mit Willy Brandt und Karl Dietrich Bracher herausgegeben.


Joseph Wirmer

19. März 1901 - 8. September 1944

Die Verhandlung vor dem Volksgerichtshof offenbart den persönlichen Mut und die Unerschrockenheit von Josef Wirmer. Wenn ich hänge, Herr Präsident, habe nicht ich die Angst, sondern Sie.

Foto aus: 'Das Gewissen steht auf', 1954

Der nahe Tod hat diese Überlegenheit nicht angerührt. Vielmehr bestimmen jene Eigenschaften das Bild dieses Mannes. Dem graden und wuchtigen Wuchs entsprach eine unbeirrbare Geradheit des Geistes, die ihn zum selbstverständlichen Widersacher des Nationalsozialismus machte. Am 1. Mai 1933 hörte er im Radio zusammen mit Freunden, die sich täuschen ließen, die Rede Hitlers vom Tempelhofer Feld. Er sagte damals mit religiösem Ernst: Ich werde der Feind Hitlers sein.

Die Geburtsstunde dieser Gegnerschaft war schon das erste öffentliche Auftreten Hitlers; sie ließ Wirmer die charakteristischen Züge seines Feindes erkennen und zwang ihn bis zum Einsatz seines persönlichen Lebens, sich dem Antichristen entgegenzustellen.
Durch Hitler sah er von Anfang an Ethos, Christentum und Kultur bedroht. Diese Werte aber waren Teil des Wesens von Josef Wirmer, wurden zur Notwendigkeit seines Weges als Mann, Vater, politischer Mensch und Jurist.

Über das Rechtsbewußtsein von Wirmer schreibt sein Bruder Otto: Seine Unabhängigkeit glaubte er am wenigsten als Rechtsanwalt einzubüßen. Dabei war ihm in seiner Tätigkeit das starre Regel- oder Gesetzesdenken ein Greuel, das seiner menschlichen Verantwortlichkeit nicht entsprach. Eine rein situationslose und typenlose Norm hielt er für ein Unding, so aufnahmebereit sein Geist sonst für juristisch-formales Denken war. Der Versuchung des Satzes 'autoritas non veritas facit legem' ist er nach der Art begegnet, wie Jesus dem Versucher in der Wüste.Es wurde ihm schließlich zur tiefsten Überzeugung, daß das Recht nur aus einer geschichtlich gewordenen Ordnung der Dinge erwachse und sich demgemäß ständig gestalte.
Gegen das formelle Gesetz einer Gewaltherrschaft zu verstoßen erschien ihm deshalb auf höherer Ebene die Erfüllung des Rechts zu sein, dem er Zeit seines Lebens mit erfurchtsvoller Scheu diente. Die haßerfüllten Ausfälle Freislers gerade ihm gegenüber lassen erkennen, daß er von dem Regime als substantieller Gegner empfunden wurde und deshalb vernichtet werden mußte, so wie es sich bereits viele Jahr vorher in einem ehrengerichtlichen Verfahren abzeichnete, durch das er aus dem Rechtswahrerbund wegen seiner unerschrockenen Verteidigung rassisch Verfolgter ausgeschlossen wurde.

Und weiter berichtet Otto Wirmer: Mein Bruder Josef war durch den heutigen Bundesminister Jakob Kaiser mit Karl Goerdeler bekannt geworden. Ich erinnere mich, Goerdeler häufig im Büro meines Bruders in Berlin angetroffen zuhaben. In seiner privaten Wohnung in Lichterfelde habe ich auch Julius Leber kennengelernt, dort ist mein Bruder ferner mit Ulrich von Hassel, Klaus Bonhoeffer und anderen zusammengetroffen. Er hatte mit Max Habermann, vor allem aber mit Bernhard Letterhaus zu tun. Nach dem militärischen Sektor stand er mit Claus von Stauffenberg in Verbindung.

Joseph Wirmer, dem der Wiederaufbau der Justiz in Deutschland anvertraut werden sollte, wurde als einer der Hauptbeteiligten an der Aktion vom 20. Juli unter dem Vorsitz Freislers vom Volksgerichtshof am 8. September 1944 zum Tode verurteilt und am gleichen Tage hingerichtet.


 

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